Der ganzheitliche Blick auf die Schilddrüse

So klein die Schilddrüse auch ist, ihr Einfluss auf unser Wohlbefinden ist enorm. Sie steuert zentrale Bereiche unseres Hormonhaushalts. Ist dieser gestört, kann sich das in Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten oder sogar in einem unerfüllten Kinderwunsch ­äußern. Die Schilddrüsenexpertin Dr. Dorothea Leinung erklärt, was diese Dysbalancen auslöst, welche Folgen sie haben und wie das ­natürliche Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann.  

Fallbeispiel 1: Erschöpfung und ständige Müdigkeit

Eine 38-jährige Projektmanagerin, bei der fünf Jahre zuvor eine Hashimoto-Thyreoiditis diagnostiziert wurde, suchte meinen Rat. Egal ob sie acht oder zwölf Stunden geschlafen habe, am Morgen fühle sie sich immer total erschöpft. Selbst mit viel Kaffee komme sie nicht in die Gänge. Gleichzeitig habe sie ständig das Gefühl, unter Strom zu stehen. Sie leide unter Stimmungsschwankungen und sei oft sehr gereizt. Und das nicht nur in ihrem anstrengenden und stressigen Job, sondern auch ihrem Mann und ihren beiden Kindern gegenüber.

Mein Verdacht: All diese Symptome sind ein deutlicher Hinweis auf erschöpfte Nebennieren aufgrund der Hashimoto-Thyreoiditis. Denn da die Nebennieren und die Schilddrüse im selben hormonellen Steuersystem arbeiten, beeinflusst die eine Drüse indirekt die andere.

Bei anhaltendem Stress produzieren die Nebennieren zunächst dauerhaft hohe Mengen Kortisol, um den Körper in ständiger Alarmbereitschaft zu halten. Langfristig führt diese Überlastung jedoch dazu, dass die Kortisolproduktion nachlässt und das System aus dem Rhythmus gerät. In der Anam- nese erfuhr ich weitere Details, die meinen Verdacht bestätigten. Die junge Mutter war morgens erschöpft, abends aber hellwach und fand deshalb nur schwer in den Schlaf. Zudem hatte sie tagsüber, meist am Nachmittag, oft Heißhunger auf Süßes oder Salziges. Ihr Blutdruck war niedrig und wenn sie schnell vom Stuhl aufstand, wurde ihr oft schwindelig.

All diese Symptome sind Zeichen ­einer massiven Störung des Kortisol-Tagesrhythmus. Normalerweise steigt die Kortisolmenge in unserem Körper morgens ab etwa 3 Uhr stark an. Das macht uns wach, sodass wir ab etwa 6 oder 7 Uhr fit und aktiv in den Tag starten können. Im Laufe des Tages sinkt der Kortisolspiegel langsam ab und ist am Abend so flach, dass unser Schlafhormon Melatonin übernehmen kann. Wir werden müde und schlafen ein.

Bei Menschen mit einer Nebennierenerschöpfung ist dieser Aktivitätsindex umgekehrt: Ihr Kortisolspiegel ist am Morgen zu niedrig und abends atypisch hoch. Diese Umkehrung lässt sich mit Speichelproben ganz einfach im Labor nachweisen. Hashimoto – besonders in einer Unterfunktion oder bei Entzündungsschüben – verstärkt diesen verschobenen Kortisol-Tagesrhythmus zusätzlich.

Die Nebennieren

Die Nebennieren sitzen wie kleine Hütchen oben auf den beiden Nieren. Sie sind wichtig für den Hormonhaushalt des Körpers. Die Nebennierenrinde besteht aus drei Schichten, in denen jeweils spezifische Hormone produziert werden.

  • In der äußersten Schicht werden Mineralokortikoide wie Aldosteron gebildet. Aldosteron reguliert den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt des Körpers.
  • In der mittleren Schicht werden Glukokortikoide wie Kortisol produziert. Dieses Hormon beeinflusst den Zuckerstoffwechsel und ist wichtig bei Stress.
  • Die innerste Schicht produziert Androgene, also Vorläufer von Sexualhormonen wie Testosteron oder Östrogen.

Das Nebennierenmark im Zentrum der Nebennieren gehört zum sympathischen Nervensystem. Hier werden die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin gebildet.

Mein Behandlungsansatz: Voraussetzung für jede Behandlung ist es, den Stresspegel herunterzubekommen. Ist dieser weiterhin hoch, kann man als Arzt oder Patient machen, was man will – es wird nichts greifen. Ich habe der berufstätigen Mutter mit zwei kleinen Kindern deshalb geraten, nicht alles alleine meistern zu wollen, sondern sich im Alltag Unterstützung zu holen – egal, ob vom Partner, von Freunden oder von der Familie. Die dadurch gewonnene Zeit ist meiner Erfahrung nach die beste Möglichkeit, Stress zu reduzieren.

Wie sie genutzt wird, um zur Ruhe zu kommen, ist jedem selbst überlassen. Die einen genießen es, eine Stunde beim Friseur zu verbringen oder sich die Nägel machen zu lassen, andere treffen sich mit einer Freundin zu einem Spaziergang, legen sich einfach mal eine Stunde zwischendurch hin, schauen einige Folgen Netflix oder machen Yogaübungen. Hauptsache, man kann dabei abschalten.

Mein zweiter, ebenso dringender Rat: Kein Koffein mehr – weder in Form von Kaffee oder Tee noch als Energydrink. Trinkt man bei einer Schilddrüsenunterfunktion oder auch bei einem Hashimoto Kaffee, ist das, als gieße man Öl ins Feuer. Das aufputschende Koffein bringt das Kortisoltagesprofil noch mehr durcheinander, und der Stresslevel steigt immer mehr. Zudem hat Koffein erhebliche Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel und kann unerwünschte Blutzuckerschwankungen verursachen. Dies wiederum ist ein weiterer Stresstrigger. Wer eine Nebennierenschwäche hat, sollte deshalb Kaffee komplett absetzen und auf raffinierten Haushaltszucker verzichten. Außerdem ist es wichtig, regelmäßig zu essen, also morgens, mittags und abends. Gelingt der plötzliche komplette Kaffeeverzicht nicht, kann man die Kaffeemenge auch innerhalb einer Woche langsam reduzieren und so das Koffein ausschleichen.

Auch die Einnahme adaptogener Pflanzen kann dazu beitragen, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ich habe der Patientin Rosenwurz (Rhodiola rosea) empfohlen. Er ist ideal für stressige oder herausfordernde Lebensphasen und kann in Form von Kapseln eingenommen oder als Tee zubereitet werden.

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Den kompletten, ausführlichen Beitrag lesen Sie in unserem Magazin natürlich gesund und munter 01/2026

Foto: art4stock/iStock

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