Auszug aus Heft 3/16
Menschen, die in ihrem beruflichen oder privaten Alltag Kränkungen erleben, leiden meist sehr darunter. Und zuweilen kann das Leiden sogar so heftig werden, dass es in körperliche Erkrankungen mündet. Das muss nicht sein.
natürlich gesund und munter: Herr Dr. Staemmler, das menschliche Miteinander ist vielfach von Enttäuschungen, von kleinen oder großen Kränkungen geprägt. Warum fühlt man sich eigentlich gekränkt?
Frank Staemmler: Wer sich gekränkt fühlt, verarbeitet eine Verhaltensweise eines anderen Menschen als Enttäuschung seiner Erwartungen: Er oder sie vermisst zwischenmenschliche Beachtung oder Anerkennung, erlebt einen Angriff auf seinen Selbstwert. Ob dabei ein Gefühl der Kränkung entsteht, ist davon abhängig, wie die betroffene Person selbst die fragliche Handlung oder Aussage der anderen Person deutet.
Verursacher einer Kränkung ist also nicht derjenige, der kränkt, sondern derjenige, der sich gekränkt fühlt. Ist das nicht etwas zu einseitig gedacht?
Wenn man denen helfen will, die Kränkungen erleben, muss man die Situation aus ihrer Perspektive sehen. Dazu gehört auch, dass Kränkungen oftmals durch scheinbar triviale Anlässe hervorgerufen werden – häufig zur großen Überraschung derer, die sie mit ihrem Verhalten ausgelöst haben. So habe ich selbst vor Kurzem erlebt, dass ein Bekannter, den ich zu einem Fest nicht eingeladen hatte, weil ich dachte, dass er nicht zu den eingeladenen Personen passte, sich von mir gekränkt fühlte. Er glaubte, er sei mir nicht mehr wichtig. Das Beispiel zeigt: Es ist nicht die Handlung (die ausgebliebene Einladung), die darüber entscheidet, wie sich jemand fühlt, sondern die Art und Weise, wie diese Handlung interpretiert wird. Man kann das an einem entsprechenden Gegenbeispiel sehen: Einer meiner anderen Bekannten, den ich auch nicht eingeladen hatte, war froh, nicht kommen zu „müssen“, weil er Menschenmengen scheut und es vorzieht, mit mir allein einen Abend zu verbringen.
Gibt es aus Ihrer Sicht typische Reaktionsmuster auf empfundene Kränkungen?
Die in unserer Kultur weitverbreiteten Reaktionsmuster beruhen auf einer ebenso einfachen wie irreführenden Annahme. Danach ist derjenige, der dem anderen einen „Kränkungsanlass“ liefert, in der Regel der böse „Täter“, und der, der sich gekränkt fühlt, das arme „Opfer“. Die Reaktionsmuster, die sich daraus ableiten, lassen sich dabei grob in zwei Kategorien unterteilen: den beleidigten Rückzug und den aggressiven „Gegen“-Angriff.
Beim Rückzug geht der Betroffene nicht nur „in Deckung“, um sich von der erlebten Kränkung zu erholen bzw. um sich möglichen weiteren Kränkungen zu entziehen, sondern er reagiert oft auch depressiv oder stimmt der kränkenden Botschaft sogar mehr oder weniger zu. Das heißt, er wendet das Erlebte gegen sich selbst, bis hin zu einer psychischen oder körperlichen Erkrankung. Beim „Gegen“-Angriff, also bei der Interpretation, dass die Kränkung ein Angriff sei, attackiert er den Verursacher, um den Ausgangspunkt der Kränkung unschädlich zu machen. Das kann durch direkte verbale oder auch physische Gewaltanwendung geschehen, aber auch durch arrogante Entwertungen oder auf indirektem Weg durch Intrigen und Tratsch.
Gibt es „Rezepte“ dafür, wie man vermeidet, bei empfundenen Kränkungen krank zu werden oder aggressiv zu reagieren?
Von „Rezepten“ möchte ich in solchen Zusammenhängen lieber nicht sprechen; das wirkt zu vereinfachend. Aber es gibt durchaus eine Reihe von Empfehlungen, die den Betroffenen helfen können. Auch wenn es Sie vielleicht verblüfft: Meine erste Empfehlung ist, die eigene Interpretation einer vermeintlichen Kränkung zu hinterfragen, da man in der Regel nicht genau weiß, wie der andere seine Aussage oder sein Verhalten gemeint hat. Die eigene Deutung, die wesentlich zum Kränkungsgefühl beiträgt, muss nicht zutreffend sein, besonders was die Absichten des anderen betrifft. Viel seltener als angenommen wird, hatte der andere einen bösen Willen! Man sollte sich darum fragen, ob das Verhalten des anderen nicht auch anders interpretiert werden kann.
Was empfehlen Sie konkret?
Vor allem ist es sinnvoll, sich erst einmal Zeit zum Durchatmen zu nehmen, wenn ein Kränkungsgefühl entsteht, anstatt gleich in die Luft zu gehen oder sich beleidigt zurückzuziehen. Diese beiden Reaktionsmuster schaden der Beziehung zwischen den beiden Beteiligten oft zusätzlich. Lesen Sie den vollständigen Beitrag in Ausgabe 03/2016.