Auszug aus Ausgabe 3/21
Warum ist es so faszinierend, Wildvögel zu beobachten? Ist es die Freiheit des Fliegens, die uns träumen lässt? Oder ist es das Geheimnis verborgener Kräfte, die bis heute nicht vollständig erforscht sind?
Es begann mit einer Überraschung: Eines Tages lag neben meiner Vogelfutterschale ein schöner, grün schimmernder Stein. Ob ihn ein Vogel transportiert und versehentlich hatte liegen lassen? Als aber alle paar Wochen besonders schön gefärbte Steine neben Futterstelle oder Tränke auftauchten, konnte ich Zufälle ausschließen. Ich suchte nach einer Erklärung und erfuhr von ähnlichen Fällen: Auch andere fütterten wie ich Rabenvögel wie Krähen und Elstern und fanden daraufhin außergewöhnliche Steine oder Federn am Futterplatz. Der US-amerikanische Ornithologe John Marzluff spricht davon, dass es sich dabei tatsächlich um Geschenke dieser Vögel handelt. Wie kann das sein? Rabenvögel, erklärt Marzluff, begreifen menschliche Signale. Sie verstehen also, dass regelmäßig an einem bestimmten Ort vorgefundenes Futter und Wasser nicht per Zufall da ist, sondern dass sich jemand kümmert. Diese Zeichen eines fremden Lebewesens lösten bei mir ein tiefes Glücksgefühl aus.
Glück und Segen durch Kranich, Amsel und Storch
Für die Schweden war es der Kranich, den sie als Glücksboten sahen. Schließlich schien der Zugvogel bei seiner Rückkehr die Wärme des Frühlings im Gepäck zu haben. In Frankreich brachte das Flöten der Amsel jedem Glück, der ihren Weg kreuzte. Deshalb schmückt ihr französischer Name „Merle“ viele Ortsbezeichnungen. Bauern in Deutschland legten ein Wagenrad aufs Hofdach, um Störche zum Nisten anzulocken. Störche signalisierten Freude, Fruchtbarkeit, Traditionsbewusstsein und Liebenswürdigkeit. Heute zeigen immer mehr wissenschaftliche Studien, was die Menschen seit langer Zeit intuitiv spürten: Vögel sind tatsächlich Glücksbringer.
Ein heilender Teil unserer Natur
Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV), wollte es genauer wissen und startete 2017 das Projekt „Alle Vögel sind schon da“. Zur „Vogelbeobachtung in vollstationären Einrichtungen“, so der etwas sperrige Untertitel, wurden in mehr als 40 bayerischen Pflegeheimen Vogelfutterstationen installiert, und die 1500 Bewohner bekamen Material zur Bestimmung der Vogelarten. Es ging dem LBV darum, Naturerlebnisse zu schaffen, um dem Verlust von Lebensqualität bei den alten Menschen entgegenzuwirken. Das Ergebnis des Versuchs war eindeutig. Nach drei Jahren konnte das Forscherteam um die Sozialpsychologin Prof. Dr. Elisabeth Kals von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt bestätigen, dass bei den Heimbewohnern, auch bei den von Demenz betroffenen, eine durchschnittliche Verbesserung ihrer Aufmerksamkeit und ihres Gedächtnisses um mehr als 25 Prozent festgesellt werden konnte. Auch die Stimmung hob sich, und die Alten wurden mobiler. Einige, die zuvor kaum noch ihr Zimmer verlassen hatten, motivierte das Gezwitscher vor dem Fenster in einer anderen Etage, regelmäßig den beschwerlichen Weg dorthin auf sich zu nehmen. Da das Beobachten von Wildvögeln also offenbar die Gesundheit fördert, wurde das Projekt verlängert und auf rund 80 Heime erweitert.
Im Dezember 2020 veröffentlichten Forscher der Senckenberg-Gesellschaft, des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversiätsforschung sowie der Universität Kiel unglaubliche Ergebnisse. Daten von 26 000 Erwachsenen aus 26 europäischen Ländern zeigten, dass diejenigen Menschen am glücklichsten sind, „die im tagtäglichen Leben viele verschiedene Vogelarten erleben können oder in einer naturnahen Umgebung leben, in der viele Arten beheimatet sind“, so der Erstautor der Studie, Joel Methorst.
Ein Blick auf die sozioökonomischen Daten der Befragten belege, „dass für die Lebenszufriedenheit die Vogelvielfalt genauso wichtig ist wie das Einkommen“, ergänzt die Koautorin Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese. Genauer: 14 Vogelarten mehr im Umfeld machen mindestens ebenso froh wie 124 Euro monatlich mehr auf dem Konto.
Bereits 2017 beschrieb der britische Biologe Daniel Cox anhand von 270 Testpersonen, dass diese sich angesichts von Wildvögeln mit der Natur verbunden fühlten und entspannten – beides führt zu Stressabbau. Laut dem Forscher am Zentrum für Nachhaltigkeitsstudien der Universität Exeter besserten sich seelische Probleme wie etwa Angststörungen bei Städtern, wenn mehr Vögel präsent waren. Die Tiere scheinen also die Psyche zu stabilisieren. Diese wissenschaftlichen Belege bestätigen auch die Erfahrung des US-amerikanischen Autors Joe Harkness, von denen er in seinem 2020 erschienenen Buch „Bird Therapy“ (Nymphenburger) berichtet. Jahrelang litt er unter Depressionen und Suizidgedanken, bis ihn das Eintauchen in die Natur und die Begegnung mit Vögeln rettete. Lesen Sie den vollständigen Beitrag in unserer Ausgabe 3/2021