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Der Waldmeister

Clemens G. Arvay
Er liebt den Wald, aber am Anfang des beruflichen Werdegangs von Clemens G. Arvay stand der Umgang mit toten Bäumen: Vor dem Biologiestudium absolvierte er eine Ausbildung zum Buchbinder. Heute lebt er in Nußdorf ob der Traisen in Niederösterreich, wo er nicht nur über die Beziehung von Mensch und Natur forscht und schreibt, sondern auch seine „Earth Songs“ komponiert und Video-Talks für seine Website arvay.info aufnimmt – alles im Wald, versteht sich.

Im Reich der Pflanzen und Tiere findet der Mensch Heilung und Heimat, sagt ein junger Biologe und Bestsellerautor aus Österreich – und fordert eine radikale Wende im Umgang mit der Natur.

Der Mensch gehört in den Wald, glaubt Clemens G. Arvay, und kaum jemand könnte seine These besser verkörpern als er selbst. Der 37-jährige Biologe lebt und arbeitet in einem Dorf nahe Krems an der Donau (Niederösterreich), zwischen lichten Auenwäldern und dem ausgedehnten Revier des Dunkelsteiner Waldes. Die neue Begeisterung für den gesunden und heilsamen Aufenthalt unter Bäumen, die derzeit Konjunktur in Talkshows und Magazinen hat, ist bei ihm eine alte Liebe und reicht weit in seine Kindheit zurück. Sie motiviert ihn, neueste Forschungsergebnisse über die Kräfte der Natur zusammenzutragen und in Büchern wie zuletzt „Der Heilungscode der Natur“ zu vermitteln. Auch im Gespräch mit natürlich gesund und munter wird spürbar: Clemens G. Arvay ist durchdrungen von dem, was er „Biophilia“ nennt – die Hinwendung zu den vielfältigen Formen des Lebens.

natürlich gesund und munter: Herr Arvay, was hat der Wald mit uns zu tun?
Clemens G. Arvay: Ich verstehe unser Immunsystem als ein Sinnessystem, das ständig Reize aus der Außenwelt aufnimmt, interpretiert und darauf reagiert, zum Beispiel auf Viren, auf Bakterien, auf Substanzen und Giftstoffe von außen. Und es ist verbunden mit unserem Nervensystem, unserem Darm, unserem  Gehirn. Mit diesen Organsystemen findet ein ständiger Austausch von Informationen statt – über Botenstoffe. Auch die Bäume und Pflanzen im Wald kommunizieren über Botenstoffe: Der Wald ist ein Ort der dichten biochemischen Kommunikation.

Der Wald, ein Ort dichter Kommunikation?
Ja, der Wald kann als ein einziger, ausgedehnter Organismus betrachtet werden, in dem alle Teile miteinander in Kontakt stehen und Botschaften austauschen. So schützen die Pflanzen sich gemeinsam vor Eindringlingen, informieren einander, wie groß eine anrückende Schädlingsarmee ist, welche Arten von Schädlingen das sind und so weiter. Und auch Bäume, die noch gar nicht in Kontakt mit den Schädlingen sind, reagieren bereits und fahren ihr Immunsystem hoch. Faszinierenderweise sind die Substanzen, mit denen die Pflanzen sich gegenseitig informieren, für unser Immunsystem offensichtlich nicht ganz fremd. Damit haben wir Teil am Kommunikationsnetzwerk der Natur des Waldes.

Wie genau wirkt diese „Wald-Kommunikation“ auf uns Menschen?
Die Kommunikations-Moleküle sind gasförmige Substanzen aus den Waldpflanzen. Viele dieser sekundären Pflanzenstoffe kann man in der Waldluft riechen, das sind die ätherischen Öle aus der Gruppe der Terpene. Medizinisch wirkt dieser Cocktail aus Terpenen vorbeugend, aber er unterstützt auch die Heilung von Krankheiten. Bereits ein ausgedehnter Waldspaziergang, das belegen japanische Studien, führt zu einer bis zu 40-prozentigen Steigerung der natürlichen Killerzellen in unserem Organismus. Außerdem stärkt die Waldluft wichtige Antikrebsproteine und schützt uns vor Gefäßerkrankungen und Herzinfarkt. 

Das klingt ja wie eine Wundermedizin ... Deren Erforschung muss doch lohnend sein.
Wir entschlüsseln gerade erst ansatzweise die Wirkung dieser Dichte an Biomolekülen, wir kratzen an der Oberfläche. Die Luft ist voll mit bioaktiven Pflanzenstoffen, die geschlossene Decke der Bäume hält sie im Wald und schützt die Terpene vor der Zerstörung durch die UV-Strahlung der Sonne. Der Wald ist eben voller positiver biochemischer Wirkungen.

Kein Wunder, dass immer mehr Menschen ihr Heil in einem persönlichen Walderlebnis suchen.
Ich finde es gut, dass wir als Gesellschaft den Wald und seine Bedeutung wieder entdecken, und ich bin überzeugt, dass er am Ende auch nicht zum Vergnügungspark wird. Wer in den Wald hinausfährt, nimmt dessen Schönheit wahr, genießt die Natur und möchte die heilende Wirkung der Natur spüren.

Dieses Naturgefühl kann ich doch aber auch am Meer erleben.
Der Inbegriff der Natur ist der Wald. Wir sehen überall auf der Welt in allen Klimazonen, dass die Vegetationsprozesse immer das Ideal des Waldes anstreben, auch wenn die natürlichen Bedingungen etwa in der Savanne dies verhindern. Wald ist ein Urprinzip, die höchste Stufe der Vegetationsentwicklung. Menschen als Naturwesen haben große Teile ihrer Evolution im Wald verbracht, sie sind aus dem Wald hervorgegangen. Die psychologische Wirkung der Naturerfahrung tritt auch an der See ein, in einem naturnah gestalteten Garten zu Hause, in einem Park. Aber der Wald ist ein besonderer Ort.

Ein Park hat ja gewisse Ähnlichkeit mit einem Wald.
Ein Park ist nach dem Prinzip der Savanne angelegt. Wir wissen, dass lichte Baumbestände gut gegen Stress wirken. Der Parasympathikus, der Nerv der Ruhe und Entspannung, wird in savannenartigen Landschaften besonders aktiviert, unsere Sinne regenerieren sich. So wirken sich die psychologischen Reize der Natur positiv auf den Körper, auf die Organe aus. Eine Langzeitstudie aus den Achtzigern an Krankenhauspatienten hat nachgewiesen, dass es die Selbstheilungskräfte nach Operationen stärkt, die Wundheilung beschleunigt und sogar die postoperativen Komplikationen verringert, wenn die Operierten aus dem Fenster nicht auf eine Hauswand blicken, sondern auf einen Baum. Wir wissen auch, dass sich das Spielen unter Bäumen und im Wald positiv auf Kinder mit ADHS auswirkt.

Sie sind Biologe, Ihr Thema war die Ernährung. Wie kam die Beschäftigung mit dem Wald dazu?
Ich bin zwar in Graz aufgewachsen, der zweitgrößten Stadt in Österreich, aber am Waldrand. Mein Großvater war auch Biologe, Botaniker und Forstwirt, er hat mich mitgenommen in die großen Waldreviere der Steiermark. In meinen ersten Büchern habe ich über biologische Landwirtschaft geschrieben, über die Aushöhlung des Begriffs „Bio“ und den Lobbyismus der Lebensmittelkonzerne. Da spielten die Schönheit und der ökologische Wert der Natur bereits eine Rolle, ich habe aber immer gewusst, dass ich eigentlich über den Wald forschen und schreiben möchte. Mit dem Buch „Der Biophilia-Effekt – Heilung aus dem Wald“ habe ich den ersten Schritt gemacht, mich ausschließlich mit meinem Urthema zu befassen. Und in meinem aktuellen Buch „Der Heilungscode der Natur“ habe ich das wissenschaftliche Fundament für die Waldmedizin nachgereicht.

Die Seele, die Emotionen und deren Bedeutung für das menschliche Immunsystem, ein ganzheitliches Gesundheitsbewusstsein spielen darin eine wichtige Rolle. Wie geht Ihr Weg weiter?
Ich möchte mich für die Verbreitung der Ökopsychosomatik einsetzen – eine noch viel zu wenig bekannte Wissenschaft, auch unter Medizinern und Biologen. Gemeinhin geht es dabei um psychosomatische Beschwerden aufgrund industrieller Umwelteinflüsse, von Smog, Elektromagnetfeldern oder Stress am Arbeitsplatz. Dies ist aber nur ein Aspekt. Für mich bedeutet Ökopsychosomatik, dass wir den Menschen als untrennbar von seinen Lebensräumen betrachten, was er ja auch ist. Wie die Psychosomatik die Trennung zwischen Körper und Psyche aufhob, hebt jetzt die Ökopsychosomatik die Trennung zwischen unserem Körper, unserer Seele und der Umwelt auf. Wir sind eine Einheit aus Körper, Geist und unseren Verbindungen zur Umwelt.

Unsere Verbindung zur Umwelt? 60 Prozent der Menschheit lebt heute in Städten.   
Die Trennung von der Natur macht uns krank, davon bin ich nach all meinen Recherchen überzeugt. Und es ist heilsam, sich den Einflüssen der Natur wieder zu öffnen. Ich glaube, jeder Mensch – oder fast jeder Mensch, mit wenigen Ausnahmen – ist biophil.

Was macht diese „Biophilie“ aus?
Dass man eine Hinwendung zur Natur in sich spürt, von Lebensprozessen und Wachstumsprozessen der Natur angezogen wird und fühlt, wie schön es ist, in der Natur zu sein. Dass man den Wunsch hat, die Natur zu bewahren. Als Gesellschaft betrachtet, sind wir aber „biophob“, also das Gegenteil von biophil. Der Psychoanalytiker Erich Fromm hat Biophilie und Biophobie als Gegenspieler in der menschlichen Psyche beschrieben. Die Biophobie darf nicht die Oberhand behalten, wenn wir gesund bleiben wollen. Die Biophilie ist die lebensbejahende Kraft, die uns auch mit den anderen Lebensformen verbindet. Aber die Biophilie des Einzelnen kann sich kaum mehr durchsetzen gegen das naturzerstörerische Massenphänomen der Biophobie.

Geht es darum in Ihrem nächsten Buch?
Ja. Ich frage mich, warum sind wir eine biophobe Gesellschaft, obwohl jeder Mensch die Liebe zur Natur in sich spürt? Als heilenden Weg für unsere Gesellschaft brauchen wir eine Rückbesinnung. 

Unter dem Leitbild „Zurück zur Natur“?
Nicht ganz. Wir müssen die Natur zurück in unsere Gesellschaft holen. Eine Rückkehr zur Natur klingt in vielen Ohren, vor allem denen der Technokraten, nach Rückschritt. Die Ökonomie ist zum Selbstzweck geworden, alles muss sich dem Profitstreben unterordnen. Auch der unmenschliche Umgang mit Tieren, dass sie als Ware betrachtet werden und nicht als Gegenüber, was sie eigentlich sind, wird gerechtfertigt durch Wirtschaftlichkeit. Diese Doktrin wirtschaftlicher Notwendigkeit, die unsere Natur zerstört, will ich durchbrechen. Ich glaube, es wäre ein Fortschritt, die Natur zurück in unser Leben zu holen, in allen Lebensbereichen. Damit wir unsere Gesellschaft zu einer besseren Gesellschaft machen können­.
/ Das Gespräch führte Dr. Frieder Stein

Diesen Beitrag finden Sie in Ausgabe 4/2017

Buchtipp
Der Heilungscode der Natur.

Die verborgenen Kräfte von Pflanzen und Tieren entdecken.
Riemann Verlag, 256 Seiten,
19,99 Euro (D), 20,60 Euro (A). 



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