Auszug aus Ausgabe 3/21
Als Unkraut wird sie bekämpft, als Nutzpflanze geschätzt: Vor allem aber punktet die Brennnessel mit zahlreichen Eigenschaften, die unserer Gesundheit guttun. Sie ist ein Star der Wildpflanzenküche.
Erinnern Sie sich an das erste Mal, als Sie Bekanntschaft mit einer Brennnessel gemacht haben? Daraus wurde bestimmt keine Freundschaftsbeziehung, denn bei jeder Berührung der Pflanze entstehen Bläschen, die ziemlich schmerzen können. Brennnesseln sind in Stadt und Land omnipräsent: Sie wachsen auf Wiesen und am Wald- oder Feldrand, in Gräben und auf Brachland, auf Misthaufen und an Bahngleisen. An ihren Stielen und Blättern sitzen Brennhaare mit Spitzen, die beim kleinsten Kontakt abbrechen. Dann setzen sie eine Flüssigkeit frei, die Ameisensäure, Acetylcholin, Serotonin und Histamin enthält. Eine winzige Menge genügt, um auf der Haut brennenden Schmerz auszulösen. Bohren sich die feinen Spitzen in die Haut, schießt das Brenngift mit Druck ins Gewebe, und rot umrandete, juckende Quaddeln bilden sich. Kein Wunder, dass die Brennnessel oft vor allem als lästiges Unkraut wahrgenommen wird. Andererseits wird die Pflanze seit Jahrhunderten als Nahrung und als Heilpflanze, aber auch als Rohstoff zur Textilherstellung sehr geschätzt.
In Mitteleuropa gedeihen vor allem die Kleine Brennnessel (Urtica urens), die zehn bis 60 Zentimeter hoch wird, und die Große Brennnessel (Urtica dioica). Deren Stiele können je nach Untergrund und Wachstumsbedingungen zwei oder sogar drei Meter in die Höhe schießen. Essbar sind beide Arten. Für die Arzneimittelherstellung oder die Herstellung von Nesselstoffen wird aber überwiegend die Große Brennnessel genutzt.
Der Name „Nessel“ verweist auf die Nutzungsmöglichkeit der Fasern dieser robusten Pflanze. Im Indogermanischen steht das Wort ned für „knüpfen, binden und nähen“. Der wissenschaftliche Name leitet sich vom lateinischen Wort urere für „brennen“ ab. Urtica urens, der botanische Name der Kleinen Brennnessel, bedeutet übersetzt „brennende Brennpflanze“ – ein deutlicher Hinweis darauf, dass jede Berührung mit ihren grünen Pflanzenteilen deutlich schmerzhafter ist als bei der zweihäusigen Urtica dioica (di =
altgriechisch zwei, oikia = Haus), die männliche und weibliche Pflanzentriebe ausbildet.
Vielfältige Heilkraft
Bereits in der Antike wurde die Brennnessel als Heilpflanze geschätzt: Der griechische Arzt Hippokrates von Kos (460–370 v. Chr.) kannte ihre blutreinigende Wirkung, und der römische Dichter Ovid (43 v. Chr. –17. n. Chr.) empfahl in seinem berühmten Lehrgedicht „Ars Amatoria“ (Liebeskunst) einen Liebestrank zur Potenzsteigerung, dessen wesentlicher Bestandteil Brennnesselsamen sind. Bei den alten Germanen war die Pflanze Freya zugeordnet, der Göttin für Liebe und Fruchtbarkeit sowie des Spinnens und Webens. Auch mit dem Donnergott Thor wurde sie in Verbindung gebracht, vermutlich aufgrund der Brenn-
haare. Unsere Altvorderen verzehrten Brennnesselgerichte, um Potenz und Fruchtbarkeit zu steigern, und hängten Nesselbüsche in Haus und Hof auf, die sie vor Blitzschlag und Bränden schützen sollten.
Kein Wunder, dass den heilkundigen Mönchen und Nonnen des Mittelalters die Brennnessel wegen dieser vitalisierenden Wirkung eher suspekt war. Dabei wurde die überall verfügbare Pflanze über die Jahrhunderte hinweg in der Volksmedizin bei vielerlei Gesundheitsproblemen genutzt. So schrieb der Schweizer Kräuterpfarrer Johann Künzle (1857–1945), der auf einem Bauernhof aufgewachsen war: „Hätte die Brennnessel keine Stacheln, wäre sie schon längst ausgerottet worden, so vielseitig sind ihre Tugenden.“ Rudolf Steiner (1961–1925), der Begründer der Anthroposophie, bezeichnete die Pflanze gar als „Allerweltsmittel“ und als „Königin der Beikräuter“. Er empfahl sie zur Harmonisierung des Organismus und zur Regulierung des Eisenhaushalts, kannte sie als Mittel gegen Hämorrhoiden und bei zu starker Periode und riet, sie in der Landwirtschaft einzusetzen, um den Boden zu beleben. Manche Bauern und Bäuerinnen sind davon überzeugt, dass die Brennnessel bei Kühen die Milchleistung steigert. Bis heute wird die Brennnessel in landwirtschaftlichen Betrieben zur Heilung verschiedener Erkrankungen bei Pferden eingesetzt. In der modernen Naturheilkunde wird die Brennnessel nicht nur als Heilpflanze, sondern auch zur Gesundheitsvorsorge angewendet. Lesen Sie den vollständigen Beitrag in unserer Ausgabe 3/2021