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Die heilende Kraft in uns

Kniel Synnatzschke, Vanessa Chambard / plainpicture.com; michelangeloop / shutterstock.com

Auszug aus Heft 6/20

>> Mind-Body-Medizin in der Forschung
>> Negativer Stress und Entspannungsantwort
>> Wie finde ich meinen individuellen Weg?

Die neuzeitliche Medizin ist geprägt von einer Trennung zwischen Körper und Geist. Aber viele körperliche Krankheiten haben ihren Ursprung in schädlichem Stress, und der beginnt im Kopf. Deshalb setzt die Mind-Body-Medizin dort an. Um unsere Selbstheilungskräfte zu aktivieren, nutzt sie verbreitete mentale Techniken der Entspannung, deren Wirksamkeit heute wissenschaftlich bewiesen ist.

„Frieden“ flüstere ich jedes Mal, wenn ich ausatme. Mit jedem Atemzug fühlt es sich an, als komme ich tiefer in die Entspannung. Jedes Mal, wenn ich das von mir zuvor spontan ausgesuchte Wort flüstere, scheint es, als verflüchtige sich meine innere Anspannung immer mehr. Ich liege bequem auf dem Rücken, meine Augen sind geschlossen. Meine ganze Aufmerksamkeit ist nach innen gerichtet. Um mich herrscht Stille. Es ist, als fülle jeder meiner Atemzüge mehr Raum. Kommt mir ein Gedanke in den Kopf, flüstere ich gelassen „okay“ und kehre in die innere Wahrnehmung zurück, lausche dem wundersamen Stillleben in mir.

So einfach kann jeder das Schlüsselverfahren der Mind-Body-Medizin (MBM) praktizieren. Was so simpel scheinen mag, weckt das vielleicht wirksamste Naturheil­mittel überhaupt aus seinem Schlummer. Eines, für das man nicht weit reisen, keinen Spezialisten aufsuchen, ja, nicht einmal Geld ausgeben muss. Dieses Heilmittel steckt in jedem von uns, es ist jedem von uns gegeben. Und dennoch lassen wir diese wertvolle Befähigung oft unbeachtet brachliegen. Dass man mit mentalen Praktiken heilen kann – und das auch noch hochwirksam, erscheint nach heutigem Denken so absurd, ja so unglaublich. Doch genau das tut die MBM, das ist ihr Ansatz. Sie bestreitet nicht nur die Trennung von Körper und Geist, die der französische Philosoph Descartes so folgenreich postulierte (siehe Kasten), und die viele Menschen an dem heutigen Medizinbetrieb so abschreckt. Sie versucht auch nicht, den vielzähligen Verbindungen zwischen seelischen Leiden und körperlichen Erkrankungen auf die Spur zu kommen und gemeinsam zu therapieren. Sie sucht nicht tief in der Psyche nach der Ursache für Reizdarmbeschwerden oder Migräne, wie es beispielsweise der Ansatz der psychosomatischen Medizin oft ist.

Die Einheit von Körper und Geist
Die Mind-Body-Medizin nutzt schlicht die enge Verbindung von Geist und Körper als positives Potenzial zur Erhaltung unserer Gesundheit und zur Heilung bei Erkrankungen. Sie bringt mentale Techniken als Quelle von Gesundheit gezielt zum Sprudeln; ihre Wirkung ist heilend, völlig unabhängig davon, was die gesundheitlichen Probleme verursacht hat und wie gesund oder ungesund man ist. Diesen uns innewohnenden Gesundbrunnen können  wir selbst mit ein wenig Übung jederzeit anzapfen.

Die Mind-Body-Medizin kreiert nicht etwa neue Behandlungsmethoden, sie schafft vielmehr das Bewusstsein für das enorme Heilungspotenzial bekannter mentaler Verfahren, damit diese gezielt zur Krankheitsbewältigung und Verbesserung der Gesundheit eingesetzt werden können. Aus einem breiten Angebot von Autogenem Training über Tai Chi bis zu Übungen in Spiritualität können solche gewählt werden, die therapeutisch sinnvoll sind und zu den individuellen Bedürfnissen passen. „Es geht darum, die vorhandenen Ressourcen für Gesundheit zu stärken“, erklärt Dr. Anna Paul, Autorin des Buchs „Die Kraft der Selbstheilung: Bewegung – Entspannung – Ernährung“ (BLV Verlag). Die Gesundheitspädagogin leitet den Bereich Mind-Body-Medizin in der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte. Kurz gesagt, fragt Mind-Body-Medizin nicht, welche Kräfte krank machen, sondern welche gesund machen, und schöpft hier aus dem Vollen.

Es war der amerikanische Arzt Dean Ornish, der es vor mehr als 30 Jahren mit einer Kombination aus Entspannungstechniken, Sport, Ernährung, liebevollem Umgang mit sich selbst und anderen schaffte, dass sich eine Arteriosklerose in den Herzkrankgefäßen seiner Patienten nachweislich verringerte. „Damals war das eine Revolution“, sagt Dr. Holger Cramer, Forschungsleiter an der Klinik für Naturheilkunde in Essen, die als erste die Mind-Body-Medizin in Deutschland eingeführt hat. „Mittlerweile ist es in zahlreichen Studien gelungen, einen Rückgang der Arteriosklerose nachzuweisen.“ Nach wie vor hat die Mind-Body-Medizin den Anspruch, die von ihr eingesetzten Techniken intensiv wissenschaftlich zu untersuchen und zu belegen. „Es geht aber auch darum, Erkenntnisse zu sammeln, die die praktische Anwendung mehr und mehr verbessern“, betont Cramer. „Allein zu Yoga und seiner Gesundheitswirkung gibt es heute schon über 500 hochwertige Studien.“

Die Wurzeln liegen in Harvard und im Himalaya

Alles fing mit dem Forscher-Elan eines jungen amerikanischen Kardiologen von der renommierten Harvard-Universität an. In den Siebzigerjahren hatte Herbert Benson den Mut, etwas zu untersuchen, was damals von der Fachwelt noch völlig ignoriert wurde. „Vor 50 Jahren wäre die Vorstellung, Meditation könnte einmal als medizinische Behandlung eingesetzt werden, als absurd angesehen worden“, schreibt Benson kürzlich in einem Artikel in der renommiertesten Medizinzeitschrift der Welt, dem New England Journal of Medicine. So haben sich die Verhältnisse dank intensiver wissenschaftlicher Erforschung verändert: Aus „absurd“ ist längst eine wissenschaftlich belegte Heilmethode geworden.

Zunächst unternahm Benson damals mehrere Expeditionen in den Himalaya, um dort bei meditierenden Mönchen messbare Veränderungen im Organismus wie Blutdruck, Puls oder Sauerstoffverbrauch festzustellen. Tatsächlich sanken diese Werte beeindruckend während der inneren Versenkung. Ein erster Nachweis, dass wirklich objektiv etwas passierte. Das war aber nicht mehr als ein erster flüchtiger Blick in all die heute bekannten biologischen Wirkungen von Meditation.

Zurück in Harvard, gelang es Benson schließlich, an meditierenden Probanden zu zeigen, dass es sich um ein biologisches Programm handelt, das in jedem Menschen darauf wartet, ausgelöst zu werden. Benson bezeichnete diese physiologische Reaktion als „Entspannungsantwort“. Kurioserweise hatte 50 Jahre zuvor der Forscher Walter Cannon in just demselben Labor an der Harvard-Universität die „Stressantwort“ untersucht und beschrieben, die von einer stark erhöhten Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Kortisol geprägt ist: Der Blutdruck steigt, man ist hellwach, Blutzucker und Blutfette steigen, um Energie bereitzustellen. Ein Stoffwechselzustand, der, wie Cannon es umschrieb, bereit macht für „Fight or Flight“, also Kämpfen oder Fliehen. Den vollständigen Beitrag finden Sie in Ausgabe 6/2020

 

Weitere Aspekte in diesem Beitrag:

  • Descartes und die Grundlagen der modernen Medizin
  • So wirkt Mind-Body-Medizin
  • Den Strom der Gedanken unterbrechen
  • Was Entspannungspraktiken im Körper bewirken
  • Den Stoffwechsel in die Erholung bringen
  • Die enge Verbindung von Darm und Hirn
  • Mind-Body-Techniken: wo sie helfen
  • Das Wissen der Mind-Body-Medizin in den Alltag integrieren
  • Weniger Stress denken
  • Negative Gedanken hinterfragen
  • Glücksmomente, vor Augen geführt
  • Achtsam sein mit sich selbst und der Welt
  • Den Lebensstil ändern: so gelingt’s

 


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