Schon die große Heilkundige des Mittelalters wusste: Essen ist Medizin. Kräuter und Gewürze verleihen nicht nur allen Speisen das gewisse Etwas. Sie sind auch ein Fest für die Sinne und fördern ganz nebenbei die Gesundheit.
Duftender Lavendel und in allen Grüntönen schimmernde aromatische Kräuter, dazwischen farbenfrohe Ringelblumen und Rosen, mächtige Königskerzen und filigrane Akeleipflanzen sowie reichlich Gemüse … der Klostergarten war ein kunterbunter Nutzgarten, der fast alles lieferte, was Nonnen und Mönche benötigten. Gesundheit und Genuss gingen dabei oft Hand in Hand. Denn viele der im Garten angebauten Kräuter und Gewürzpflanzen verfeinerten nicht nur die meist vegetarische Kost der einfachen Ordensleute. Sie wurden auch in den Klosterapotheken zu Tees, Tinkturen, Salben und Pülverchen verarbeitet und zur Vorbeugung von Krankheiten und zur Behandlung von vielerlei Beschwerden eingesetzt.
Hildegard von Bingen (1098–1179) |
Die Äbtissin Hildegard von Bingen (siehe Kasten) kannte sich mit der Heilkraft von Kräutern aus. Sie brachte das aus der Antike überlieferte Wissen über Pflanzen mit der Volksmedizin zusammen und stellte in ihren umfangreichen Aufzeichnungen weit mehr als hundert heilkräftige Pflanzen samt Heilwirkung vor. Viele davon sind bis heute beliebte Küchenkräuter, andere, wie die Brennnessel oder die auch Gundermann genannte Gundelrebe, gelten vielfach eher als Unkraut. Ihre Qualitäten in der Küche werden erst allmählich im Zuge der Neuentdeckung essbarer Wildpflanzen wieder geschätzt.
Hildegards Ernährungslehre
Eine gesunde Ernährung war Hildegard von Bingen besonders wichtig. Sie vertrat die ganzheitliche Auffassung, dass man nur dann einen Zustand des Wohlbefindens erreichen kann, wenn Körper, Geist und Seele im Einklang sind. Aus diesem Gedanken heraus entwickelte die heilkundige Nonne auf Basis des damaligen Weltbilds eine eigene Ernährungskunde. Alle Lebensmittel hatten demnach eine thermische Eigenschaft, die Hinweise auf ihren Einsatz und ihre Zubereitungsart gab. „Jedes Kraut ist entweder warm oder kalt, und so wächst es, weil die Wärme der Kräuter ihre Seele bezeichnet und die Kälte den Leib“, notierte Hildegard in ihrem großen Werk „Physica“ (Naturkunde).
Die Kunst des gesunden Kochens bestand für sie vor allem darin, die Zutaten der Gerichte so zusammenzustellen, dass sich die Eigenschaften der Lebensmittel zu einem harmonischen Ganzen ergänzen. Zwei Drittel der Ernährung sollte auf „warme“ Lebensmittel entfallen, der Rest auf „kalte“. Als warm eingestuft waren Dinkel und Kräuter oder Gewürze wie Minze, Lavendel, Thymian, Salbei und Galgant. Sie bringen den Kreislauf in Schwung und setzen Energie frei. So schrieb Hildegard beispielsweise: „Die Gundelrebe ist mehr warm als kalt (…), sodass ein Mensch, der matt ist und dem die Vernunft schwindet, die Gundelrebe in Mus oder Suppe kochen soll (…), und sie wird ihm helfen.“ Als kalte Speisen galten Spinat und grüne Bohnen, aber auch Gurken, Lachs, Basilikum und Schnittlauch. Sie senken die Körpertemperatur, verlangsamen den Kreislauf und verringern die Energie.
Moderne Hildegardküche
In der Aufteilung in wärmende und kühlende Lebensmittel, die es übrigens auch in der chinesischen Medizin- und Ernährungslehre gibt, steckt ein Körnchen Wahrheit. Entscheidender für den Einsatz heilkräftiger Küchenkräuter sind heutzutage neben Aroma und Geschmack aber eher die von Hildegard beschriebenen gesundheitsfördernden Eigenschaften, beispielsweise ihre Wirkung auf die Verdauung, den Magen, die Haut oder die Seele. Einige Küchenkräuter samt den Erkenntnissen der Äbtissin zu ihrer Heilwirkung finden Sie in der nebenstehenden Auflistung.
Das Kochen mit natürlichen, unverarbeiteten Lebensmitteln sowie die zahlreichen Hinweise zur Zubereitung, die Hildegard von Bingen in ihren medizinischen Werken niedergeschrieben hat, sind weitere Grundlagen der modernen Hildegardküche. Als Hauptnahrungsmittel empfiehlt sie neben Gemüse und Obst vor allem Dinkel. Dieses Urgetreide kommt bei ihr zu fast jeder Mahlzeit auf den Tisch. 70 bis 80 Prozent der Ernährung sollten aus Dinkel, Gemüse und Obst bestehen. Heute weiß man: All dies wird im Körper basisch verstoffwechselt – die Grundlage für einen ausgeglichenen Säure-Basen-Haushalt. Roh kam bei Hildegard fast nichts auf den Tisch, außer Fenchel, Knoblauch und Petersilie. Alles andere müsse gegart oder gedämpft werden, schrieb sie, da die Speisen dann besser verdaulich sind. Für Salate empfahl sie „das kalte Kochen mit Essig“, also das Anmachen mit einer Vinaigrette eine halbe Stunde vor dem Verzehr.
Bekömmliche Gerichte aus saisonalen Zutaten der Region, das ist der Kern der Hildegardküche – und der Grund für deren Renaissance. Denn damit kommt sie heutzutage vielen Menschen entgegen, die auf der Suche nach dem Einfachen und Ursprünglichen in der Ernährung sind.
Hildegards Küchenheilkräuter
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