Dr. med. Isabel Bloss
Seit zehn Jahren betreibt die Ärztin, Buchautorin und ausgebildete Physiotherapeutin, Jahrgang 1975, ihre allgemeinmedizinische Praxis in Ettlingen. Leser von natürlich gesund und munter kennen ihre regelmäßig erscheinende Kolumne.
Nach diesem Pandemiewinter wächst die Hoffnung auf bessere Zeiten. Was kann jetzt helfen, gut durch die Krise zu kommen? Möglicherweise hilft uns dabei eine unterschätzte Tugend.
Vieles ist zur Zeit anders. Wir müssen mit der Corona-Pandemie leben und uns auf andere, neue Zeiten einstellen, die uns alle verändern werden. Die Ärztin Dr. med. Isabel Bloss hat ein großes Potenzial ausgemacht, das wir alle in uns tragen und jetzt wiederentdecken können.
natürlich gesund und munter: Frau Dr. Bloss, wie geht es Ihren Patienten in dieser Zeit einer weltweiten Pandemie? Mit welchen Sorgen kommen sie zu Ihnen?
Dr. med. Isabel Bloss: Vor allem die Wintermonate waren geprägt von den hohen Infektionszahlen. Unser aller Leben hat sich in vielen Bereichen geändert, die Beziehungen zu unseren Mitmenschen vielleicht auch. Nicht wenige meiner Patientinnen und Patienten berichteten von Trübsinn und sozialer Isolierung. Ich habe in der Praxis oft erlebt, wie einsam manche sind. Für mich persönlich war es eine mitunter anstrengende, aber auch intensive Zeit. Sie hat die persönlichen Begegnungen noch wertvoller gemacht.
Wie hat sich Ihre Arbeit durch Corona verändert?
Ich kann meine Sprechstunde nicht wie gewohnt abhalten: mit Begrüßungshandschlag und freundlichem Lächeln. Abstand, Masken und Trennscheiben bestimmen den Alltag. Das erschwert die Kommunikation teilweise ziemlich. Als ganzheitlich arbeitende Medizinerin betrachten Sie den ganzen Menschen, also nicht nur sein körperliches, sondern auch sein seelisches Befinden. Wie können Sie darauf unter den derzeitigen Abstands- und Hygienebedingungen überhaupt eingehen? Wir sind soziale Wesen und brauchen einander. In den Gesprächen mit meinen Patienten und Patientinnen habe ich oft erlebt, wie aufbauend die menschliche Begegnung sein kann. Allein ein kurzes Gespräch, das persönlich stattfindet, muntert auf und kann Kraft und Zuversicht verleihen. Aus meiner Sicht kann die Video- oder Telefonsprechstunde die zwischenmenschliche Beziehung nicht ersetzen. Und auf längere Sicht wird sie das auch nicht.
Sie haben in dieser Zeit beobachten können, wie unterschiedlich Ihre Patienten mit der Krise umgehen. Was haben Sie dabei gelernt?
Mir ist aufgefallen, dass es gewisse Eigenschaften sind und waren, die uns durch die Krise getragen haben und weiterhin tragen werden. Die Psychologie hat dafür den Begriff Resilienz – die Befähigung, an schwierigen Lebenssituationen nicht zu zerbrechen, sondern sie durchzustehen.Resilienz beruht auf sieben Säulen: Akzeptanz, Optimismus, Lösungsorientierung, Netzwerkorientierung, das Verlassen der Opferrolle, die Übernahme von Verantwortung und Zukunftsplanung. Ich möchte diesem Konzept noch eine Eigenschaft hinzufügen, die ich in den letzten Monaten als sehr hilfreich und wegweisend erlebt habe: Neugier.
Was hat es damit auf sich? Neugierig zu sein, hat ja mehrere Seiten.
Es kommt darauf an, was Sie unter Neugier verstehen. Ich meine nicht die Neugier von Menschen, die sich in das Leben anderer einmischen wollen. Was ich meine, ist die Neugier, die schon von Geburt an in uns vorhanden ist. Als Kinder waren wir neugierig: darauf, wie sich Sand anfühlt, wie die Wippe auf dem Spielplatz funktioniert, welches Geräusch eine Muschel macht, wenn man sie sich ans Ohr hält, welche Buchstaben ein Wort ergeben, wie es sich anfühlt, ein Pferd zu striegeln, warum Menschen ins Weltall fliegen und so weiter. Diese Neugier müssen wir sozusagen nur wieder „ausgraben“. Am besten gelingt das, wenn wir spielende Kinder beobachten oder uns selbst in unsere Kindheit zurückversetzen.
Wie kann uns diese kindliche Neugier helfen, stabiler durch diese Zeit zu kommen?
Halten Sie einmal kurz inne und erinnern Sie sich an Ihre eigene „Neugier-Zeit“ im Leben – wie hat sich das angefühlt? Wenn ich an Zeiten zurückdenke, in denen ich neugierig war, kommt in mir eine Art Entdeckergeist hoch. Lebensfreude und die Lust auf das Leben steigen in mir auf.
Das ist für sich genommen sicherlich eine positive Erfahrung. Inwiefern macht sie uns resilienter?
Neugier ist das Gegenteil von Stillstand und Eintönigkeit. Sie hilft uns, indem sie unsere Aufmerksamkeit weg von allem, vielleicht auch Dunklem, zieht, das gewesen ist. Die Neugier nimmt uns an der Hand und flüstert uns ins Ohr: Schau mal genau hin, was das Leben noch so bereithält! Was hält das Leben nach oder auch schon in Corona-Zeiten für uns bereit? Was gilt es, anzupacken? Was können wir trotz bestimmter Auflagen angehen? Also, heben Sie Ihren Blick und schauen Sie nach vorn – auf das, was kommt.
Haben Sie womöglich ein paar konkrete Tipps?
Vielleicht wollen Sie ein altes Hobby neu beleben oder sich mit Dingen beschäftigen, für die Sie sich als Kind begeistern konnten. Ihrer Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt – im Gegenteil. Fantasie ist der Schlüssel, um die Neugier wachsen zu lassen. Beide Eigenschaften, Fantasie und Neugier, wirken wie belebende Sonnenstrahlen, die in unser Herz leuchten und wieder neue Saiten und Seiten in uns zum Schwingen und Klingen bringen. Neugier bedeutet auch Aufbruch und Wagnis. Ängste, Verzagtheit und Hoffnungslosigkeit verschwinden dann allmählich.
Was wäre der erste Schritt?
Spüren Sie in sich hinein und fragen Sie sich: Wann war ich das letzte Mal neugierig und warum? Vielleicht brauchen Sie ein bisschen Mut und eine Prise Verrücktheit, Dinge anzugehen, von denen Sie im ersten Moment denken, „das ist doch irgendwie kindisch“ oder „dafür bin ich zu alt“. Lassen Sie sich nicht beirren! Folgen Sie Ihrer inneren Stimme.
Und man ist wirklich nie zu alt, um neugierig zu sein auf neue Erfahrungen?
Ich habe in der Praxis einen Patienten erlebt, dem das prima gelungen ist. Als Kind wollte er Gärtner werden, landete aber zunächst in einem Bürojob. Viel später, nach seiner Pensionierung, stand er mal bei mir im Sprechzimmer und sagte: Jetzt bin ich doch neugierig, ob es mir gelingt, in meinem Garten ein Gewächshaus zu errichten, um Blumen zu ziehen und Gemüse anzubauen. Er wollte es einfach wissen. Und es ist ihm gelungen. Heute hat er im Sommer frisches Gemüse auf dem Tisch und freut sich an der bunten Blumenpracht. Also: bleiben Sie fantasievoll und neugierig!
Zum Schluss eine persönliche Frage: Worauf richtet sich Ihre Neugier für die Zeit nach der Pandemie?
Wie wir Menschen uns dann begegnen – ohne Maske und wenn Umarmungen wieder erlaubt sind. Ich hoffe, dass wir zu einer neuen Herzlichkeit und Wertschätzung unseres Lebens gelangen können. Und ich freue mich auf Reisen nach Frankreich. Mein Mann und ich sind sehr gern dort unterwegs. Neugierig bin ich auf den Duft der blühenden Lavendelfelder in der Provence, während ich mir die Sonne des Südens ins Gesicht scheinen lasse. Das wollte ich schon immer einmal genießen.
/Das Gespräch führte Julia Schröder.