Kolumne von Dr. med. Volker Schmiedel, seit 31 Jahren als Arzt tätig, Autor zahlreicher naturheilkundlicher Bücher für Therapeuten und Laien, beleuchtet für uns aktuelle Fragen des Gesundheitswesens.
Kürzlich bekam ich eine Pressemitteilung über eine neue Demenzstudie, bei der die Patienten unter Medikation mit dem Verum („richtiges Mittel“) einen schnelleren (!) kognitiven Abbau verzeichneten. Daraufhin habe ich mir die Mittel gegen Demenz mal genauer angeschaut. Selten habe ich in der Medizin einen so starken Konsens gefunden, dass Antidementiva zwar viel Geld kosten, aber praktisch keinen Nutzen entfalten.
Dem in Studien nachgewiesenen marginalen Nutzen stehen hohe Kosten, zahlreiche Nebenwirkungen und teilweise sogar eine nachgewiesene erhöhte Sterblichkeit gegenüber. Studien mit Antidementiva zeigten geringe Verbesserungen der kognitiven Fähigkeiten, die aber keinerlei Relevanz im Alltag haben. Es gibt meines Wissens keine einzige Studie, die beispielsweise belegt, dass eine Heimeinweisung vermieden oder auch nur verschoben werden konnte. Dabei wäre das ja durchaus ein Nutzen. Aber Fehlanzeige!
Immerhin eine Studie untersuchte Krankenhauseinweisungen von Demenzkranken – mit überraschendem Ergebnis: Die mit Antidementiva behandelten Patienten wurden öfter in ein Krankenhaus eingewiesen. Öfter, nicht seltener! Die Ursache waren Lungenentzündungen. Warum hat man unter Antidementiva mehr Lungenentzündungen? Ganz einfach: durch die Inhalation von Erbrochenem, denn eine häufige Nebenwirkung der Mittel ist Übelkeit.
Die jetzt veröffentlichte Studie ist nur der vorerst letzte Akt eines Trauerspiels. Die Daten sind so wenig überzeugend, dass Frankreich Antidementiva aus der Kostenerstattung der Krankenkassen genommen hat. Es sieht allerdings nicht so aus, dass Deutschland nachzieht, obwohl es längst überfällig wäre. Jedes Jahr werden mehr als hundert Millionen Euro für wissenschaftlich umstrittene Präparate ausgegeben. „Fehlende Nutzenbelege bei einzelnen Endpunkten sind für einen Ausschluss nicht ausreichend“, teilt der Gemeinsame Bundesausschuss mit, der für Verordnungsausschlüsse und Therapiehinweise zuständig ist. Just diese Institution ist schnell bei der Hand, wenn es darum geht, naturheilkundliche Präparate vom Markt zu nehmen.
Seit Jahren belegen Studien klar, wie der Lebensstil zur Vermeidung von Demenz beiträgt: Gesunde Ernährung, normales Gewicht, Vermeiden von Nikotin, moderater Umgang mit Kaffee und Alkohol, körperliche Bewegung, lebenslanges Lernen und gute soziale Kontakte vermindern die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Demenz. Zudem gibt es deutliche Hinweise auf den Nutzen von nebenwirkungsfreien und kostengünstigen Supplementen wie den Vitaminen B und D und Omega 3. Wir brauchen keine Forschung mehr über neue und noch teurere Antidementiva. Wir benötigen vielmehr Studien, die den Nutzen von Kombinationen der oben angegebenen Maßnahmen erforschen und der Frage nachgehen, wie sich in der Bevölkerung die Motivation für demenzvorbeugendes Handeln steigern lässt. Das Problem ist bloß: Daran wird kein Geld verdient.
Diesen Beitrag finden Sie in Ausgabe 5/2019