Auszug aus Heft 4/19
Abstand vom Alltag gewinnen, wieder die eigenen Sehnsüchte spüren und neue Horizonte entdecken – die Gründe für eine Pilgerreise sind vielfältig. Das gleichmäßige Gehen klärt den Geist, kräftigt den Körper und verleiht der Seele Flügel.
Vor zwölf Jahren brach Anna Malou zum ersten Mal auf. Viereinhalb Wochen lang wanderte die Mittfünfzigerin von Saint-Jean-Pied-de-Port im französischen Baskenland bis ins nordwestspanische Santiago de Compostela, insgesamt 800 Kilometer. Auf dem Camino Francés, dem beliebtesten Jakobsweg, hoffte die Lehrerin, beim Gehen den Kopf frei zu bekommen, wollte einfach Zeit für sich selbst, ohne auf andere Rücksicht nehmen zu müssen. Gemobbt von den Eltern einiger Schüler und von Kollegen, geschwächt nach einem Unfall, war sie psychisch und physisch am Ende ihrer Kräfte. „Ich war nicht mehr wehrhaft“, erinnert sich die dreifache Mutter. „Ich habe immer nur funktioniert und für meine eigenen Kinder und die Schule gebrannt. Ich hatte nie eine Phase, in der ich mich mal ausprobieren konnte.“ Ihre Hoffnung ging in Erfüllung: „Endlich hatte ich wieder Raum und konnte meinen Horizont öffnen.“
Seither ist sie mit dem Pilgervirus infiziert. Jedes Jahr wandert sie drei Wochen im Frühjahr und fünf Wochen im Sommer auf den Caminos in Europa. Pilgern ist für Anna Malou zu einem therapeutischen Gesamtpaket für Körper, Geist und Seele geworden.
Auf der Suche nach Lebenssinn
Pilgerwanderungen haben eine lange Tradition. In früheren Zeiten pilgerten Christen zu den heiligen Stätten, um Buße zu tun und durch die Begegnung mit den dort aufbewahrten Reliquien der Heiligen das Heil zu erlangen. Während einst Rom und Jerusalem die wichtigsten Pilgerziele waren, ist es heute das in Galizien gelegene Santiago de Compostela. Mehr als 23 000 Deutsche erreichten 2017 den katholischen Bischofssitz mit seiner Kathedrale, in der sich der Legende nach die Grabstätte des heiligen Jakobus, eines der zwölf Jünger Jesu, befinden soll.
Für viele moderne Pilger ist die Bedeutung des Heiligtums nicht mehr so wichtig, und es geht ihnen auch nicht unbedingt darum, das Pilgerziel zu erreichen. „Ich brauche nicht die Kirche am Ende des Weges, auch wenn es ein tolles Erlebnis war, in Santiago de Compostela anzukommen“, sagt Solveig Pudelko, die im März 2018 auf dem Camino Primitivo, dem ursprünglichen Jakobsweg, wanderte. „Mir geht es um das Unterwegs-, das Auf-dem-Weg-Sein. Dabei kommen auch die Gedanken und die Seele in Bewegung“, erklärt die 51-Jährige, die in ihrem Beruf als Office-Managerin oft sehr gefordert ist.
Lesen Sie den vollständigen Beitrag in Ausgabe 4/2019.
Weitere Aspekte in diesem Beitrag:
- Pilgern als Übung in Demut
- Auf innerlicher Reise
- Erste Schritte auf dem Weg
- Deutsche Routen
- Planung
- Begleitung