Gelingt es uns, zu einem neuen Bewusstsein für einen ökologisch vertretbaren Lebensstil zu finden? Das ist die Jahrhundertfrage. Felix Ekardt, streitbarer Experte für Klimapolitik und Nachhaltigkeit, erklärt, wie das Unmögliche doch noch gelingen könnte.
Der Jurist, Philosoph und Soziologe Felix Ekardt geht Kontroversen nicht aus dem Weg. Vor Kurzem erregte er Aufsehen in der breiteren Öffentlichkeit, weil er im Auftrag eines Bündnisses von Umweltschützern eine Klage gegen die Bundesregierung vorbereitet hatte. Vor dem Bundesverfassungsgericht soll die mangelhafte deutsche und europäische Klimapolitik an den Menschenrechten gemessen werden. Als Wissenschaftler entwickelt er Politikinstrumente für mehr Nachhaltigkeit, in Büchern wie „Kurzschluss“ (Ch. Links Verlag) und „Wir können uns ändern“ (Oekom Verlag) plädiert er für einen „gesellschaftlichen Wandel jenseits von Kapitalismuskritik und Revolution“. Auf die bequeme Tour, das zeigt sich im Gespräch, wird dieser Wandel nicht zu haben sein.
natürlich gesund und munter: Herr Professor Ekardt, was halten Sie von der neuen Schülerbewegung „Fridays for Future“?
Felix Ekardt: Das Pariser Klimaabkommen ist völkerrechtlich verbindlich und verpflichtet alle Staaten, die globale Erwärmung auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Das setzt Nullemissionen von CO₂ weltweit in zwei Jahrzehnten voraus, und zwar nicht nur bei Strom, wo das relativ leicht ist, sondern auch bei Wärme, Mobilität, in der Kunststoffproduktion und auch im Agrarbereich. In Deutschland und Europa stehen wir, gemessen am tatsächlichen ökologischen Fußabdruck pro Kopf, katastrophal da. So gesehen ist die Bewegung in jedem Fall sinnvoll.
Die „Fridays for Future“-Bewegung fordert, dass die Politik Vorgaben macht, um den Klimaschutz zu beschleunigen. Wäre das ein sinnvoller Weg?
Es wird nur dann eine andere Politik geben, wenn wir sie fordern und durch unseren Lebensstil deutlich machen, dass wir Klimaschutz wirklich wollen. Aber auch ein nachhaltiger, Emissionen vermeidender Lebensstil ist primär dann realistisch, wenn der politische Rahmen gesetzt wird.
Welche Rahmenbedingungen oder Anreize könnte die Politik denn schaffen?
Wir befinden uns in einer paradoxen Situation. Durch unseren Lebensstil machen wir alle deutlich, dass wir eigentlich keinen wirklichen Wandel wollen – häufig übrigens auch die Ökos. Aus der Verhaltensforschung ist bekannt, dass Faktenwissen und Werthaltungen allein nur wenig ändern. Die Politik, die gemacht wird, passt genau dazu. Auf EU-Ebene ist Deutschland Klimabremser statt Klimavorreiter.
Sie haben den Agrarbereich erwähnt. Welche Umweltfolgen zieht beispielsweise die industrielle Fleischerzeugung nach sich?
Tiere erzeugen hohe Treibhausemissionen. Ein Großteil der landwirtschaftlichen Fläche weltweit wird für die Produktion tierischer Nahrungsmittel eingesetzt. Und vor allem wegen der eingesetzten Futtermittel ist die Tierhaltung mittelbar auch Hauptursache aller anderen Umweltprobleme der Landnutzung, also der gestörten Stickstoff- und Phosphor-Kreisläufe, Boden- und Gewässerbelastung, aber auch Erkrankungen bei Menschen.
Gestern habe ich meinen ökologischen Footprint getestet. Obwohl ich keine Lebensmittel wegwerfe und wenig Fleisch esse, war mein Abdruck gewaltig: 1,6 Hektar.
Ja, Europäer haben im Durchschnitt einen großen Fußabdruck. Um ihn zu verringern, bin ich Vegetarier, fahre Bahn, fliege nicht in den Urlaub, habe kein Handy, keine Mikrowelle, nur ein einziges internetfähiges Gerät, nämlich meinen Laptop, und ich trage ausschließlich 20 Jahre alte Jacketts. Wohnen und Arbeiten habe ich in einer Leipziger Dachgeschosswohnung weitgehend zusammengeführt. Dennoch ist das Problem nicht rein individuell zu lösen. Beispielsweise komplett ohne Kunststoffe zu leben, ist für den Einzelnen schon sehr schwierig. Ich bin aber eben nicht nur Konsumbürger, sondern auch politischer Bürger. Ich kann mich für einen anderen politischen Rahmen engagieren, der auch in den Bereichen einen Wandel ermöglicht, wo er individuell nur schwer zu erreichen ist.
Wie könnte man sich engagieren?
Rein in die Parteien, rein in die Verbände. Diskutieren mit den Nachbarn und Freunden, zu Demonstrationen gehen, Petitionen im Internet unterschreiben. Es gibt diese Wechselwirkung von individuellem Lebensstil und politischer Rahmung. Das eine ändert sich immer in Abhängigkeit vom anderen.
Flugreisen, speziell Fernreisen, gelten als ökologische Keule. Zugleich ist der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsbereich und -faktor für Wachstum. Wie könnte man die Interessen des Reisemarktes mit der Notwendigkeit verbinden, die Ressourcen zu erhalten?
Beides steht einfach im Widerspruch. Wenn ich die gesellschaftlichen Kosten von Klimawandel und fossilen Brennstoffen gegenrechne, ist Klimaschutz in der Summe volkswirtschaftlich vorteilhaft. Nehmen Sie die fossilen Brennstoffe, die jedes Jahr Abermilliarden von Kosten erzeugen, im Gesundheitssystem beispielsweise durch Krebserkrankungen. Auch die mineralische Stickstoffdüngung erzeugt gesellschaftlich höhere Kosten, als sie ökonomisch an Nutzen generiert. Im Gegensatz dazu ist für einzelne Sektoren eine Klimawende betriebswirtschaftlich unvorteilhaft, für Tierhalter zum Beispiel und für die Kohleindustrie. Diejenigen, die einen ökonomischen Nachteil befürchten, machen sich besonders bemerkbar. Gerade die Braunkohle hat massive volkswirtschaftliche Folgeschäden, weil Menschen krank werden, weil der Klimawandel vorangetrieben wird, die Artenvielfalt abnimmt und dadurch Naturkatastrophen wahrscheinlicher werden. Die Schäden sind weit größer als der unmittelbare Nutzen. Und ähnlich verhält es sich auch mit Flugreisen.
Jeder Einzelne und jeder Sektor denkt zuerst an sich und nicht an die Gesellschaft.
Es ist nicht nur der Eigennutzen von Konsumenten und Unternehmern, der die Nachhaltigkeitswende behindert. Es sind auch Normalitätsvorstellungen im Spiel. Jeden Tag ein Stück Fleisch zu essen, gilt als ebenso normal wie mit dem Auto zur Arbeit zu fahren oder jedes Jahr in den Urlaub zu fliegen. Das machen doch auch alle Facebook-Freunde, die Nachbarn und die Kollegen.
Wieso ist es schwer, seinen gewohnten Lifestyle auf Nachhaltigkeit umzustellen?
Zu den genannten Faktoren kommen emotionale Faktoren wie Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung und die Neigung zu Ausreden und Sündenböcken. Am Ende sind doch die Chinesen, Donald Trump oder die Kapitalisten an allem schuld. Dabei gäbe es die beiden letztgenannten ohne die Konsumenten, Arbeitnehmer und Wähler nicht. Auch grüne Wähler denken da kaum anders. Menschen neigen nun einmal zu einfachen Wahrheiten.
Sie haben über Ursachen mangelnder Nachhaltigkeit promoviert. Sind wir auf dem Nachhaltigkeitspfad ein Stück vorangekommen?
Die Frage stellt sich weiterhin. Immerhin, bei der Stromerzeugung haben wir etwas erreicht. Das ist besser als nichts. Bei Kunststoffen ebenso wie in den Bereichen Wärme und Mobilität haben wir aber fast gar nichts erreicht. Ja, wir brauchen den Technikwandel, aber die Herausforderung ist zu groß, um auf rein technischem Weg in zwei Jahrzehnten die Emissionen auf null zu bringen. Wir brauchen deshalb auch den Verhaltenswandel. Also ein genügsameres Leben. Ich bin Jahrgang 1972, und wir sind heute fünfmal so wohlhabend wie damals. Dabei ging es mir auch in den Siebzigerjahren super. Lebensmittel wurden in aller Regel noch frisch zubereitet. Es gab kaum Urlaubsflüge, kaum Unterhaltungselektronik, viel weniger Autos, kleinere Wohnungen. Und kein „to go“.
Warum sind Unternehmen so wenig innovativ, was nachhaltige Verpackungen angeht?
Verpackungen sind an sich problematisch! Auch wenn Verpackungen aus Pappe und Papier hergestellt sind, steckt da ein erheblicher Energieeinsatz drin, selbst wenn das Papier recycelt wird. Wir werden auch nicht die gleiche Menge Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen können wie bisher aus fossilen Brennstoffen, weil wir einfach die Fläche dafür nicht haben. Wenn wir jetzt aber noch mehr Fläche in Nutzung nehmen, hätte das fatale Auswirkungen für den Naturschutz. Immerhin, es gibt zunehmend Unverpackt-Läden. Für die To-go-Gesellschaft ist das natürlich herausfordernd. Die Unternehmen wollen verkaufen, und die Konsumenten wollen Bequemlichkeit und Schnelligkeit.
Und wie entkommt man diesem Teufelskreis aus Angebot und Nachfrage?
Indem wir alle für eine EU-Politik eintreten, die in zwei Dekaden eine Mengengrenze von null für fossile Brennstoffe und von einem Drittel für die bisherige Tierhaltung setzt. Das geht nur über Mengen-steuerung, nicht über einzelne Verbote für einzelne Handlungen hier und dort.
Damit wäre das Problem gelöst?
Der Effekt wäre bessere Technik plus mehr Genügsamkeit bei uns allen. Denn die erzeugte Knappheit würde von den Unternehmen als Preis an die Endkunden weitergegeben. Ferner sind Schutzmaß-nahmen nötig und möglich, um die Verlagerung von Emissionen in Länder zu verhindern, die nicht mitziehen wollen beim Klimaschutz. / Das Gespräch führte Inge Behrens.
Diesen Beitrag finden Sie in Ausgabe 4/2019.